Der Scheibenberg

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Martin Meschede, Universität Greifswald

TL;DR (Too long; did’nt read)

Am Scheibenberg im südwestlichen Erzgebirge in der Nähe von Annaberg gibt es einen großen Aufschluss in einem ehemaligen Steinbruch, der den Gipfelbereich des Scheibenberges zur Hälfte aufschneidet und einen hervorragenden Einblick in das Innere des Berges gewährt. Die berühmten Orgelpfeifen des Scheibenberges sind Basaltsäulen eines Basaltstroms aus dem Oligozän. Schon seit dem 16. Jahrhundert wurden in der Umgebung der Ortschaften Schlettau und Scheibenberg die harten Basalte zu Bauzwecken gewonnen, als Straßenpflaster aufgearbeitet oder zu Schotter zerkleinert, im 19. Jahrhundert kam der Abbau von Tonen hinzu, die unter den Basalten gefunden wurden. Bis 1936 wurden am Scheibenberg Basaltsäulen gebrochen, bevor der Scheibenberg schon 1937 unter Schutz gestellt wurde. Man wollte die Basaltsäulen nicht weiter zerstören, sondern als besonders schutzwürdiges Objekt der Nachwelt erhalten. 2006 wurde der Scheibenberg zum „Nationalen Geotop“ erhoben, eine Auszeichnung die insgesamt 77 Geotope deutschlandweit von der Akademie der Geowissenschaften zu Hannover e.V. verliehen bekamen. 2019 wurde das Geotop zudem unter den Schutz der UNESCO-Welterbe Montanregion/Krušnohoří gestellt.

Geologisch betrachtet gehört der Basalt des Scheibenberges zu den vulkanischen Bildungen des Egergrabengebietes (Abb. 1). Das Egergrabengebiet ist schon seit dem Beginn des Paläogens mit Senkungszonen im zentralen Egergraben in Böhmen, in der Oberpfalz und im Fichtelgebirge als eine Riftzone aktiv. Die ältesten hier vorkommenden Vulkanite sind bereits vor 65 Mio. Jahren im tschechischen Osečná-Komplex entstanden. Die Hauptphase des Vulkanismus war im Oberen Oligozän mit vulkanischen Zentren im tschechischen Duppauer Gebirge sowie Schlotfüllungen, Domen und Gängen im Böhmischen Mittelgebirge. Zeugen des Vulkanismus lassen sich heute, oft mit eindrucksvollen Basalten in säuliger Absonderung an verschiedenen Orten im Erzgebirge beobachten, ähnlich wie auch am Scheibenberg.

Abb. 1: Verbreitung tertiärer Magmatite im Gebiet des Egergrabens. (aus Meschede, 2018, verändert nach Pfeiffer und Suhr 2008; Lage der Scherzone und Maarstrukturen darin nach Nickschick et al. 2014).

Das Alter des Scheibenberg-Basalts wird mit 28–32 Mio. Jahre angegeben. Der hier aufgeschlossene Basalt ist ein erkalteter Lavastrom, der damals in ein dort befindliches Tal hineinfloss und es teilweise ausfüllte (Abb. 2). Die komplett senkrecht ausgerichteten Basaltsäulen zeigen, dass die Abkühlung von oben nach unten stattfand. Morphologisch ist der Scheibenberg ein klassisches Beispiel für den Prozess der Reliefumkehr (Abb. 3). Der Basaltstrom ergoss sich seinerzeit in ein Tal, heute bildet er jedoch einen Berg, weil die ihn umgebenden Schichten, die aus Sedimentgesteinen bestehen, weicher sind und seit dem Oligozän wegerodiert wurden. Der Basalt blieb als Härtling stehen.

Abb. 2: Entstehung des Scheibenberg-Basalts als Talfüllung im Oligozän (verändert nach Wagenbreth & Steiner, 2001; Sebastian, 2013).
Abb. 3: Reliefumkehr am Scheibenberg durch Erosion der umgebenden weniger widerstandsfähigen Gesteine.

Durch Abkühlung verlieren magmatische Schmelzen 1–2 % ihres Volumens, d. h. sie schrumpfen etwas. Ähnlich wie man es bei tonigen Lagen in austrocknenden Pfützen beobachten kann, bildet sich in einem Lavastrom, der unter der isolierenden erstarrten Oberfläche etwas mehr Zeit für die Abkühlung als direkt an der Oberfläche hat, am Rand zunächst ein Netz von Schwundrissen, die sich bei fortgesetzter Abkühlung senkrecht zur Abkühlungsfläche in die erstarrende Basaltlava hinein fortsetzen. Daraus entstehen dann die charakteristischen Basaltsäulen, die früher häufig als Kristallstrukturen angesehen wurden, die aber nichts anderes als Schrumpfungsrisse in einem erstarrten Lavastrom darstellen (Abb. 4). Die Säulenachse ist immer senkrecht zur Abkühlungsfront angeordnet. In Lavaströmen stehen die Säulen daher senkrecht, während sie in Schlotfüllungen auch häufig schräg, liegend oder gebogen vorkommen. Im Idealfall sind die Säulen sechseckig, da dies der besten Kompromissform für die kleinste Oberfläche bei gleichzeitig größtem Volumeninhalt entspricht. Sie können aber durchaus auch weniger oder mehr Ecken besitzen. Die säulige Absonderung ist nicht auf basaltische Laven beschränkt, sondern kommt auch in Laven anderer Zusammensetzung vor. In Basalten lässt sie sich jedoch besonders häufig beobachten, weil es aufgrund ihrer geringeren Viskosität wesentlich mehr basaltische als SiO2-reichere Magmen (z. B. Rhyolithe) schaffen, bis an die Oberfläche durchzudringen und dort als Laven auszufließen.

Abb. 4: Säulige Absonderung in einem Basalt. Die oft sechseckig angeordneten Klüfte entstehen durch Schrumpfungen beim Abkühlungsprozess eines Gesteins, das aus einer Schmelze entstandenen ist (aus Meschede 2018).

An den Basaltsäulen am Scheibenberg entzündete sich im 18. Jahrhundert ein Streit zwischen Neptunisten und Plutonisten, die zwei gegensätzlichen Theorien zur Erdentstehung folgten.

Der Scheibenberg in der Wissenschaftshistorie – oder: Der Neptunisten-Plutonisten Streit

Grundlegende geowissenschaftliche Prozesse wurden erst im 19.  Jahrhundert nach und nach verstanden. Und so war auch die Frage nach der Entstehung von Gesteinen im 18. Jh. noch nicht abschließend geklärt. Damals gab vor allem zwei große Lager, die Neptunisten und die Plutonisten. Auch der Scheibenberg spielte bei Erklärungsversuchen immer wieder eine Rolle und war Schauplatz einer historischen Zusammenkunft.

Abraham Gottlob Werner (1749-1817) aus Freiberg in Sachsen war einer der Hauptvertreter der schon sehr früh auch von griechischen Philosophen entwickelten Theorie des Neptunismus. Die Theorie besagt, dass alle Gesteine als Sedimentgesteine aus dem Wasser eines hypothetischen Urmeeres abgelagert wurden. Mit ihrer Hilfe konnte man Fossilien, die zunehmend ins Interesse der frühen Geowissenschaftler rückten, gut erklären. Zu dieser Zeit entwickelte Leopold von Buch (1774-1853) als erster das Prinzip der Leitfossilien, mit dem man das relative Alter der Gesteinsschichten ermitteln konnte. Einer der bekanntesten Anhänger der Neptunisten war Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) (Abb. 5).

Abb. 5: Goethe in der römischen Campagna, 1787, Öl auf Leinwand, Johann Heinrich Wilhelm Tischbein.

Werner unterschied 4 Gesteinsgruppen, die „uranfängliche Gebirgsart“, zu der er Granit, Gneis, Glimmerschiefer, Tonschiefer, Porphyr, Quarzit, Serpentinit und Basalt zählte; die „Flöz-Gebirgsart“ mit Sandstein, Grauwacke, Kreide, Steinsalz und Gips, die „vulkanische Gebirgsart“, mit Bimsstein, Tuffstein, vulkanischen Aschen und Lava, sowie die „aufgeschwemmte Gebirgsart“ mit Seifen und Raseneisenstein. Den Vulkanismus hielt er anfangs für unbedeutend und glaubte, dass er durch Kohlen- und Flözbrände hervorgerufen wird. Ab 1788 zählte er den Basalt zu der Flöz-Gebirgsart. Granite erklärte Werner als die ersten Ablagerungen, die als chemische Ausfällungen aus dem Urozean entstanden seien. Mit der Erklärung, dass alle Gesteine im Wasser entstanden sind, knüpft Werner an die biblische Schöpfungslehre an, weshalb diese Theorie auch von der Kirche akzeptiert wurde. Auch die zu seiner Zeit diskutierten Katastrophentheorien flossen in seine Betrachtung ein.

Dem Neptunismus gegenüber stand der Plutonismus. Diese Theorie besagt, dass alle Gesteine ursprünglich von vulkanischen Kräften aus dem Erdinneren gebildet wurden. Das Konzept des Plutonismus gibt es auch heute noch: Magma dringt in die Erdkruste ein und erstarrt zu Plutonen. Der englische Naturforscher und Geologe James Hutton (1726-1797), der auch als Begründer der modernen Geologie gilt, war der maßgebliche Entwickler der Theorie des Plutonismus. Er nahm an, dass die Gestaltungskräfte vom „Zentralfeuer“ im Erdinneren ausgehen. Gesteine, Gebirge, Kontinente und Vulkanismus ließen sich damit erklären. Diese eher als bibelfern einzustufende Theorie stieß zunächst auf Ablehnung.

Mit der Frage „Wie ist der Basalt entstanden?“ entspann sich eine erbitterte Auseinandersetzung der Plutonisten und Neptunisten. Ein Höhepunkt dieser Auseinandersetzung war 1787/1788, als sich Vertreter beider Hypothesen am Scheibenberg im südwestlichen Erzgebirge trafen, um über die verschiedenen Theorien zu diskutieren. Sie wurden sich aber nicht einig, weil von beiden Seiten Argumente vorgebracht wurden, die von der jeweils anderen Seite nicht widerlegt werden konnten.

Werner sah in den Gesteinen des Scheibenberges eingeschwemmten Sand, der später von Ton überlagert wurde, welcher sich dann allmählich zu Basalt umformte, sozusagen „auskristallisierte“. Für die Plutonisten sprach Johann Carl Wilhelm Voigt (1752-1821), ein ehemaliger Schüler Werners (!), der erkannte, dass Basalt vulkanischen Ursprungs ist und dies auch für den Scheibenberg annahm. Goethe schrieb 1823 zu diesem Streit den Aufsatz: „Vergleichs Vorschläge die Vulkanier und Neptunier über die Entstehung des Basalts zu vereinigen“. Sogar in seinem Faust II lässt er die griechischen Naturphilosophen Thales von Milet und Anaxagoras über die kühle Ruhe der aus dem Wasser und die Gewaltsamkeit der aus dem Feuer geborenen Naturkräfte diskutieren.

Alexander von Humboldt (1769-1859), auch er war ein Schüler von Werner und anfänglich der Gruppe der Neptunisten zugehörig, schrieb über Vulkane in verschiedenen „Erdstrichen“. Er hat viele Gegenden der Erde bereist und dabei auch zahlreiche vulkanische Erscheinungen gesehen. Er änderte schließlich seine Meinung über die Entstehung der Gesteine und schlug sich auf die Seite der Plutonisten. Und er verunsicherte Goethe, der sich später nach den überzeugenden Berichten von Humboldt ebenfalls den Plutonisten anschloss. Goethe schrieb zu Humboldts Untersuchungen das folgende Gedicht:

Amerika du hast es besser
Als unser Continent, das alte,
Hast keine verfallenen Schlösser
Und keine Basalte.
Dich stört nicht im Innern,
Zu lebendiger Zeit,
Unnützes Erinnern
Und vergeblicher Streit.
Benutzt die Gegenwart mit Glück!
Und wenn nun eure Kinder dichten,
Bewahre sie ein gut Geschick
Vor Ritter-, Räuber- und Geistergeschichten.

Johann Wolfgang von Goethe

1827, „Den Vereinigten Staaten“

Als Fazit kann man sagen, dass der Plutonisten-Neptunisten Streit nach einem sehr mühsamen Weg die moderne Geologie befeuerte und schließlich etwa 150 Jahre später in der Theorie der Plattentektonik (vgl. Hess, 1962) mündete. Eigentlich haben beide Theorien ein bisschen recht, die Plutonisten vielleicht ein bisschen mehr als die Neptunisten, aber beide Theorien sind in den heutigen Theorien zur Erdentstehung enthalten.

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Literaturnachweise

Hess, H.H. (1962) History of Ocean Basins. In: Engel, A.E.J., James, H.L. and Leonard, B.F., Eds., Petrologic Studies: A Volume to Honor A. F. Buddington, Geological Society of America, Boulder, 599-620.

Meschede, M. (2018): Geologie Deutschlands – ein prozessorientierter Ansatz. – 196 S., 6. Auflage (1. Auflage 2005), Wiss. Buchges., wbg Academic, Darmstadt.

Meschede, M., Warr, L. (2019): The Geology of Germany – a process-oriented approach. – 303 S., Springer Nature Switzerland.

Nickschick, T., Kämpf, H., Jahr, T. (2014): The “Triasscholle” near Greiz, Germany – a volcanic origin? – Bull. Volcanol., 76: 806-826.

Pfeiffer, L., Suhr, P. (2008): Tertiärer Vulkanismus. – In: Pälchen, W., Walter, H. (Hrsg.),

Geologie von Sachsen, S. 486–494; Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart.

Sebastian, U. (2013): Die Geologie des Erzgebirges. – 270 S. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg.

Wagenbreth, O., Steiner, W. (2001): Geologische Streifzüge: Landschaft und Erdgeschichte zwischen Kap Arkona und Fichtelberg. – 204 S., 4. Auflage (1. Auflage 1990), Springer Spektrum, Berlin-Heidelberg.

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